Die unsichtbare Pyramide
Triversum - das Multiversum der Drei
Es war die Art zu allen Zeiten, Durch Drei und Eins und Eins und Drei Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.
Das Phantagon Die unsichtbare Pyramide basiert auf einer scheinbar banalen Beobachtung: Auf Schritt und Tritt begegnen wir der Zahl Drei. In der Bibel steht sie als Symbol von besonderem Nachdrucks und Eindringlichkeit. Die Christenheit stützt auf sie das Postulat der Heiligen Dreifaltigkeit (Trinität). Dreiergottheiten (Triaden), sind jedoch keine Erfindung der Bibelschreiber, sondern in den Mythologien aller möglichen Religionen und Völker zu finden. Im alten Ägypten wurden unter anderem die memphitische Triade (bestehend aus den Göttern Osiris, Isis und Horus) sowie die thebische Triade verehrt (Amon - auch Amon-Ra oder Amun-Re -, Chons und Mut). Bezeichnenderweise zeigen sich die Silhouetten der Pyramiden von Giseh nach Sonnenuntergang als Dreiecke. Und auch unsere moderne Welt wird von der Drei beherrscht: Bei der computerunterstützten Konstruktion (CAD) setzen sich die dreidimensionalen Körper ebenso wie die Figuren in computeranimierten Kinofilmen aus Vielecken (Polygonen) zusammen, von denen jedes einzelne aus einer oft schwindelerregend hohen Anzahl von Dreiecken besteht.
Dies sind nur einige Beispiele für den hohen Stellenwert, den die Drei im Weltbild vieler Menschheitsgenerationen gespielt hat. Für mich waren sie Anlass genug, über einen phantastischen Zusammenhang nachzudenken, der sich in einem Wort ausdrücken lässt : Triversum. Das Triversum ist das Multiversum der Drei, eine lose Verbindung von drei ähnlichen, aber doch unterschiedlichen Universen, die sich periodisch annähern und wieder voneinander entfernen, ohne jedoch je völlig miteinander zu verschmelzen. Tatsächlich wird in der Quantenphysik seit den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts über die Möglichkeit von Paralleluniversen nachgedacht: Bis heute vertreten zahlreiche Wissenschaftler die These, unseres Universums würde sich fortlaufend aufspalten und so ständig neue Universen bilden, die sich ihrerseits wieder verästeln. Aus diesen bisher unbewiesenen Gedankenkonstrukten und den Betrachtungen zur Zahl Drei enstand in meinem Phantastenhirn die Idee vom Triversum.
Es war die Art zu allen Zeiten, Durch Drei und Eins und Eins und Drei Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.
Kannten die Guanchen, die Ureinwohner der Kanarischen Inseln, das Geheimnis des Triversums? In ihrem ursprünglichen Siedlungsgebiet wurde der oben dargestellte Pintadera, ein tönerner Farbstempel, gefunden (nach einer Skizze aus dem Sachbuch Das magische Dreieck von Harald Braem). Es bedarf keiner großen Phantasie, um darauf die Umrisse von drei kleinen Pyramiden zu erkennen, die in einer größeren vereint sind.
Inhalt
Drillinge aus drei Welten
In der Nacht vom 20. auf den 21. November 1975 macht der Franziskanermönch Pedro in der Nähe des andalusischen Klosters von La Rábida den merkwürdigsten Fund seines Lebens. Für Südspanien ist es eine ungewohnt kalte Nacht. Auf einer schneebedeckten Wiese liegt ein Neugeborenes inmitten eines grünen Dreiecks. Pedro glaubt an ein Wunder. Wie sonst sollte ein in saubere Decken eingepacktes Bündel den Schnee auf diese Weise schmelzen und das unter ihm befindliche Gras vorzeitig grünen lassen? Der Kopf des Kindes liegt genau unter der Spitze des gleichschenkligen Dreiecks, seine Füße ruhen auf dessen Basis. Für einen Augenblick glaubt der Mönch ein blaues Licht wahrzunehmen, das den Säugling umwabert, in diesem Flimmern sieht er ein anders Kind auf einer Wiese und dann noch eines, das sich im Laderaum eines Schiffes befindet. Schließlich kehrt Stille ein. Pedro betrachtet scheu das Kind. Es scheint seinen Blick zu erwidern. Ja, das Kleine verzieht sogar das Mündchen, als wolle es lächeln. Der Mönch hebt es auf und trägt es ins Monasterio de la Rábida. Wie sich herausstellt, ist der Säugling ein Junge. Man gibt ihm den Namen Francisco.
Mit diesem Ereignis beginnt der Roman Die unsichtbare Pyramide. Er erzählt von drei Kindern, die auf drei Welten im gleichen Augenblick geboren werden und zwischen denen eine unsichtbare Verbindung besteht. Vor Urzeiten hat sich das Triversum – das in drei Teile gespaltene Universum – herausgebildet. Dadurch wurde die Erde gewissermaßen zu einem Drilling. Auf jeder der drei Welten entwickelte sich die Zivilisation mit unterschiedlichem Tempo und in eine jeweils andere Richtung. Unsere Neugeborenen, die »Drillingsbrüder«, wissen anfangs nichts von alldem. Doch sie machen eine Reihe von merkwürdigen Erfahrungen, die sie ihren anderen Brüdern in den Parallelwelten näher bringen. Neben der Erde unserer Tage gibt es Anx, eine von der altägyptischen Kultur geprägte hypermoderne Welt, die von der Supermacht Baqat (Ägypten) und ihrem Pharao beherrscht wird. Schauplatz Nummer drei ist Trimundus, eine Welt mittelalterlichen Zuschnitts. Jeder Held folgt, wie er meint, seiner eigenen Berufung, aber das empfindliche Gleichgewicht der drei Welten droht aus der Balance zu geraten. Nur durch ihr Zusammenwirken können die Drei ihre größere, für sie erst allmählich erkennbare, Aufgabe lösen.
Kreuzgang des andalusischen Franziskanerklosters La Rábida, in dem Francisco aufwächst (© Ralf Isau 2000)
Trimundus
Trimundus ist eine mittelalterliche Welt. Hier lautet der Name unseres Helden Trevir. Der Knabe ist der einzige Überlebende eines Gemetzels, das die Truppen des selbst ernannten Kriegslords Molog im Heimatdorf seiner Pflegeeltern angerichtet haben. Einer Weissagung zufolge sollte in diesem Dorf ein Kind geboren werden, das »Entzweites vereint und Verborgenes enthüllt«. Was immer die Bestimmung dieses Kindes sein mag, es scheint Molog nicht zu gefallen. Aluuin findet den von seinen Eltern in einem hohlen Baum versteckten Säugling. Der Alte steht einem Orden vor, der sich als »Dreierbund« bezeichnet. Trevir wächst in der Obhut ebendieser Bruderschaft auf. Sie lebt auf Sceilg Danaan, der Insel der Stürme, in clochans, kleinen Steinhütten, die sich wie Bienenwaben in die Klippen schmiegen (Foto unten).
Dabei entdeckt er an sich sonderbare Fähigkeiten und sein Meister sagt ihm, er »könne die Kräfte des Triversums lenken«. Mit vierzehn Jahren wird Trevir feierlich in seine Bestimmung eingeweiht: Er soll eines Tages Würde und Bürde des »Hüters der drei Welten« übernehmen. Wenig später wird der Orden von Mologs Horden überfallen. Trevir wird in einen Kampf verwickelt und dabei von einer Schwertspitze an der Wange verletzt. Glücklicherweise kann er seinen Gegner bezwingen und flieht allein in eine ungewisse Zukunft.
Sceilg Danaan, die Insel der Stürme. In unserer Welt heißt sie Skellig Michael und liegt vor der Westküste Irlands (© Paul Griffin 1999).
Erde
Auf der Erde, in unserer Welt, wächst Francisco im Franziskanerkloster auf. Als Jugendlicher wird er unfreiwillig zur einer Berühmtheit. Während er einen Gottesdienst besucht, erscheint unvermittelt ein blutiges Mal auf seiner Wange. Die Mönche und frommen Gottesdienstbesucher glauben an ein Wunder. Dabei gibt es für die Wunde eine natürliche Erklärung, die mit Franciscos dreifach gespaltenem Wesen zusammenhängt. Noch immer ahnt er nichts von jenem anderen Jungen, mit dem er enger verbunden ist als mit einem eineiigen Drilling.
Anx
Die Welt Anx ist ganz und gar von einer archaischen Kultur durchwirkt, die jener des alten Ägyptens gleicht, hier spricht man allerdings vom Reich Baqat. Dessen Pharao trägt unter anderem den Titel »Herrscher der Welt«. Baqat ist eine hochmoderne Supermacht. Nur wenige Völker von Anx konnte sich seiner militärischen Stärke widersetzen und ihre Unabhängigkeit bewahren. Die Staatsreligion von Baqat huldigt seit Jahrtausenden schon der memphitischen Triade, bestehend aus Osiris, Isis und dem Horus-Kind. Das Symbol der Pharaonendynastie ist die Silhouette einer Pyramide, ein gleichschenkliges Dreieck.
Baqats Pharao Isfet hat, ganz zum Leidwesen seiner Gemahlin, viele Gespielinnen, doch seine Hauptfrau Ibah-Ahiti hat dafür gesorgt, dass ihm nur Mädchen geboren werden. Dann bringt sie selbst einen Knaben zur Welt, den sie Aabuwa (altägypt.: »Unterdrücker«) nennt. Wenige Stunden zuvor hat jedoch auch die Lieblingskonkubine des Pharaos einem Sohn das Leben geschenkt. Sie nennt den Jungen Topra (altägypt. tp-rA: »Basis des Dreiecks«), eine Anspielung auf das Emblem im Wappen des baqatischen Herrscherhauses. Isfets Hauptfrau ist außer sich vor Eifersucht, weil sie in dem Kind der Konkubine einen künftigen Rivalen für ihren eigenen Sohn Aabuwa sieht. Sie setzt den Machthaber unter Druck, das Kind beseitigen zu lassen. Widerstrebend gibt der Pharao nach. »Tu in der Sache so, wie du es vor deinem Gewissen verantworten kannst«, sagt er zu seiner Frau. Sie schickt einen Meuchler, um das Kind zu töten und die Mutter in einen Kerker zu sperren. Doch die Konkubine wird gewarnt. Sie übergibt das Kind einem Vertrauten, der es an einen Ort bringen soll, wo es sicher vor den Häschern des Pharaos aufwachsen kann. Eines Tages beginnt Topra jedoch Fragen nach seiner Herkunft zu stellen. Aber auch andere interessieren sich für ihn: mächtige und gefährliche Männer.
Trevir findet heraus, dass Trimundus ein dunkles Geheimnis birgt. Vor langer Zeit wurde das Weltengefüge erschüttert und die Menschheit in dieser Katastrophe fast vernichtet. Möglicherweise kann er die Lösung des Rätsels in jener »verbotenen Stadt« finden, von der niemand so genau weiß, wo sie sich überhaupt befindet. Das Land, in das Trevir geboren wurde, steht unter der Knechtschaft von untereinander rivalisierenden Kriegslords. Der mächtigste unter ihnen ist Molog. Er unterwirft die Bevölkerung rücksichtslos und will eine ewige Dynastie gründen. Trevir ahnt, dass das Massaker am Dreierbund zu einem abgefeimten Plan gehört, mit dem Molog das Gleichgewicht des Triversums zu seinen Gunsten verändern will. Als letzter des Dreierbunds ist Trevir der »Hüter des Gleichgewichts«. Um Mologs Pläne zu durchkreuzen macht er sich auf die Suche nach der Stadt, die man die Verbotene nennt.
Eines Tages wird Francisco von einem jungen Mann namens Vicente besucht, der sich als sein älterer Bruder vorstellt. Vicente ist Altertumsforscher und befasst sich mit Pyramiden. Er glaubt, die weit über die Erde verstreuten Pyramiden dienten einem gemeinsamen Zweck. Möglicherweise gebe es - wie die moderne Quantenphysik es nahelege - Paralleluniversen und die Pyramiden könnten ein uraltes Wissen bergen, das den Übergang von einem zum anderen Universum ermögliche. Francisco verlässt das Kloster, um Vicente bei seinen Forschungen zu unterstützen. Er ahnt nicht, welche Gefahr dadurch heraufbeschworen wird …
Making of »Die unsichtbare Pyramide«
Seit 1995 habe ich immer wieder Bücher geschrieben, die in zwei Welten spielen: auf der Erde und irgendwo anders. Irgendwann stellte ich mir die Frage, die wir beim Metzger alle schon gehört haben: »Darf's auch ein bisschen mehr sein?« Ich setzte mich an meinen Computer und schrieb ein Konzept für einen Roman, in dem es drei Welten gibt. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, kam mir diese Idee nicht spontan. Bereits im Februar 1998 werkelte ich an einer Geschichte herum, in deren Mittelpunkt ein in sich geteilter Held stand. Ursprünglich sollte daraus eine neue Trilogie entstehen - und vielleicht kommt es ja auch noch dazu. Nach einem Wandel der Grundidee entwickelte sich 2001 daraus das gedankliche Konzept zur Unsichtbaren Pyramide. Ursprünglich sollte das Buch ganz anders heißen: »Die Pyramiden von Nirgendwo«.
Der heutige Roman Die unsichtbare Pyramide wurde im Winter geboren. Es war der 14. März 2002, als ich die mir durch den Kopf gehende Geschichte von den drei miteinander verbundenen Welten zum ersten Mal im Computer schriftlich skizzierte. Am 19.12.2002 war es dann so weit: Endlich begann ich mit der Ausarbeitung der Geschichte und anschließend mit dem eigentlichen Schreiben des Romans. Dazwischen lag eine Zeit intensiver Recherchen. Man mag es kaum glauben, aber mit mehr als 170 Quellen habe ich zu dem Roman mindestens genauso gründlich, wenn nicht noch intensiver nachgeforscht als für die vierbändige Saga Der Kreis der Dämmerung. Die heiße Schreibphase dauerte von Januar bis April 2003. Anschließend folgte die Zusammenarbeit mit Stefan Wendel, meinem Lektor bei Thienemann. Die gestalterische Arbeit an dem Roman endete mit der Korrektur der Fahne. So nennt man den fertig gesetzten Text, der aussieht wie die Fotokopie eines aufgeklappten Buches - man sieht in der Fahne also auch immer zwei Seiten zugleich. Am 14. Juli 2003 war der letzte Federstrich mit roter Tinte getan. Und sofort ging es weiter zum nächsten Werk: Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz.
Aus der Werkstatt:
Schwebendes Möbiusband: Erster Entwurf für ein Umschlagmotiv von Peter Gric, Januar 2003
Übersetzungen
- Japanisch (2005, in zwei Bänden)
Japanisch (Band 1)
Japanisch (Band 1)
Andere Ausgaben
- Thienemann-Sonderausgabe (2007, Hardcover)
- Carlsen-Taschenbuch (2009)